Jörg Kukies im Interview mit dem Handelsblatt

Datum
14.04.2025•
Datum
14.04.2025
Handelsblatt: Herr Kukies, Deutschlands Wirtschaft schwächelt seit Jahren. Die neue Bundesregierung will gegensteuern. Ist der Koalitionsvertrag dafür eine ausreichende Basis?Jörg Kukies: Auf jeden Fall. Dass wir die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger aufstellen müssen, ist nicht nur an ganz vielen Stellen des Koalitionsvertrags nachzulesen. Diese Aufgabe steht auch gedanklich weit oben, das macht der Vertrag ganz deutlich.Handelsblatt: Das Versprechen, das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft von 0,5 auf ein Prozent mehr als zu verdoppeln, lösen Union und SPD also ein?Jörg Kukies: Natürlich. Aber das heißt nicht, dass wir bei einem Prozent Wachstumspotenzial stehen bleiben sollten. Da geht mehr – deshalb formuliert der Koalitionsvertrag ja auch das Ziel eines Potentialwachstum von deutlich über 1 Prozent.Handelsblatt: Der neuen Koalition steht ein großer Verschuldungsspielraum zur Verfügung. Gleichzeitig finden sich im Vertragswerk keinerlei Strukturreformen. Ist das nicht eine gefährliche Kombination?Jörg Kukies: Wirtschaft und Wissenschaft haben uns bei der Frage nach den drängendsten Problemen der Wirtschaft zuallererst immer genannt: die Energiepreise sind zu hoch, die Bürokratie ist zu überbordend, der Fachkräftemangel ist eklatant und es gibt zu wenig steuerliche Anreize für Investitionen, Forschung und Entwicklung und zu wenig Initiative für Digitalisierung. All diese Themen werden nun mit fest vereinbarten Maßnahmen angegangen.Handelsblatt: Aber ein entscheidendes Thema fehlt doch: Wie der rasante Anstieg der Sozialbeiträge eingedämmt werden kann, soll erst einmal eine Expertenkommission klären.Jörg Kukies: Bei solch einem schwierigen Thema den Rat von Experten einzubeziehen, ist durchaus sinnvoll. Und es gibt ja die klare Verabredung, dass die Experten schnell zu Ergebnissen kommen müssen.Handelsblatt: Die Körperschaftsteuer für Unternehmen soll sinken. Ihre volle Wirkung werden die Entlastungen aber erst 2032 entfalten. Ist das angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise nicht zu spät?Jörg Kukies: Genau deshalb gibt es direkt ab diesem Jahr einen Investitions-Booster für Unternehmen in Form einer degressiven Abschreibung in Höhe von 30 Prozent, die private Investitionen noch in diesem Jahr anreizen werden. Und direkt nach Auslaufen dieser Sonderabschreibung sinken im Anschluss nach und nach die Unternehmenssteuern. Übrigens: durch Verbesserungen am Optionsmodell auch für Unternehmen die der Einkommensteuer unterliegen. Hinzu kommen steuerliche Anreize für Mehrarbeit, für freiwilliges längeres Arbeiten über den Renteneintritt hinaus und für Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeit auf Vollzeit. Und die Stromsteuer wird für alle auf den EU-Mindestsatz gesenkt.Handelsblatt: Was für ein Volumen werden die Sonderabschreibungen schätzungsweise haben?Jörg Kukies: Das hängt von der genauen Ausgestaltung ab. Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen, dass die im Steuerfortentwicklungsgesetz vorgesehene degressive Abschreibung von bis zu 25 Prozent mit einer Jahreswirkung von knapp 7 Mrd. vorgesehen war.Handelsblatt: Anders als bei den Unternehmenssteuern bleiben Union und SPD beim Thema Einkommensteuersenkungen vage, wollen lediglich Mitte der Wahlperiode erneut darüber reden. Fühlen sich die Wähler da nicht zu Recht ein bisschen verschaukelt?Jörg Kukies: Wir müssen zunächst die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken. Wenn dadurch die Konjunktur anzieht, gibt es ja auch mehr Spielraum bei der Einkommensteuer.Handelsblatt: Was nicht im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, ist der Abbau inflationsbedingter Steuererhöhungen, also der Kalten Progression. Steht es nicht drin, weil es eine Selbstverständlichkeit ist oder weil ein Abbau künftig nicht mehr kommt?Jörg Kukies: Ein Ausgleich der kalten Progression ist für 2024 und 2025 bereits erfolgt. Der nächste Ausgleich kann erst wieder ab 2027, dann für 2026, erfolgen. Maßstab für die Tarifverschiebungen und die Anhebung des Grundfreibetrags sind der alle zwei Jahre mit der Herbstprojektion vorzulegende Existenzminimums- und Steuerprogressionsbericht.Handelsblatt: Schon in den vergangenen Jahren blieben viele Investitionsmittel wegen Verwaltungsengpässen liegen. Jetzt stehen Union und SPD noch mehr Geld zur Verfügung. Tun beide Koalitionspartner genug, um den Staat zu modernisieren und dafür zu sorgen, dass Investitionen auch wirklich buchstäblich auf die Straße kommen?Jörg Kukies: Wir müssen vermeiden, dass das vorhandene Geld nicht ausgegeben werden kann. Im Koalitionsvertrag stehen dazu viele wichtige Punkte, bei Infrastruktur, bei Verteidigung, zur Beschleunigung von Planungen und Genehmigungen. Und es hat sich auch schon was bewegt. Da muss man gar nicht zum zehnten Mal die LNG -Terminals nennen, da können Sie ja auch die Munitionsfabrik in Unterlüß nennen, die in Rekordzeit jetzt fertiggestellt wird.  Oder die Sanierung des Hochleistungskorridors der Bahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Und wir sehen immer wieder: das Instrument des überragenden öffentlichen Interesses ist extrem effektiv.Handelsblatt: Die neue Bundesregierung wird vor allem auch außenpolitisch gefordert sein. Wir erleben letztlich einen US-Präsidenten erlebt, der bereit ist, aus der Globalisierung auszutreten. Wie soll die neue Regierung damit umgehen?Jörg Kukies:  In den Papieren der Trump-nahen Thinktanks war das ja schon vor den Präsidentschaftswahlen nachzulesen. Dass da ein anderer Wind weht und eine andere Grundeinstellung herrschen wird ab dem 20. Januar, wusste jeder, der die entsprechenden Programmpapiere der Heritage Foundation und anderen gelesen hat. Von daher kommt diese Politik nicht überraschend.Handelsblatt: Die Märkte schienen aber schon überrascht zu sein.Jörg Kukies: Ja, natürlich. Ich sage nur, es kam jetzt nicht aus dem Blauen heraus. Die grundsätzlichen Ankündigungen waren da. Die Frage ist, ob man sie ernst genug genommen hat. Auf der anderen Seite sehen wir nach den Ankündigungen die Zölle auszusetzen, dass der Markt sehr schnell wieder drehen kann. Was bleibt, ist die Unsicherheit, die kein CEO mag.Handelsblatt: Zumal Trump nur einen Aufschub gewährt hat. Niemand weiß, dass nach den 90 Tagen kommen.Jörg Kukies: Das erhöht die Unsicherheit möglicherweise sogar noch weiter. Es ist ja durchaus denkbar, dass das Ganze nach 90 Tagen wieder hoch eskaliert.Handelsblatt: Was tun?Jörg Kukies: Die EU-Kommission hat gerade angekündigt, ihre Gegenmaßnahmen für 90 Tage auszusetzen. Die Strategie, hier nicht zu eskalieren, sondern erstmal zu verhandeln, ist richtig.Handelsblatt: Das heißt: Die Chinesen mit ihren Gegenzöllen machen es falsch?Handelsblatt: Was hat denn Trump zum Einlenken gebracht?Jörg Kukies: Darüber können wir nur spekulieren. Ich kann nur sagen, dass jeder Finanzminister dieser Welt natürlich darauf schaut, wenn die langfristigen Refinanzierungskosten seiner Anleihen plötzlich deutlich teurer werden.Handelsblatt: Halten Sie es für möglich, dass China die Krise absichtlich verschärft hat, indem es seine US-Anleihen auf den Markt geworfen hat?Jörg Kukies: Wir haben mit vielen Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmern gesprochen, die uns alle gesagt haben, dass es dafür keine klaren Anhaltspunkte gibt.Handelsblatt: Glauben Sie, dass wir vor einer Finanzkrise in den USA standen?Jörg Kukies: Nach allen Indikationen, die wir haben, sind wir davon noch weit entfernt. Nehmen wir den Aktienmarkt. Natürlich sind die Verluste hoch, aber wir sind weit weg von mehrjährigen Tiefstständen.Handelsblatt: Aber der Renditeanstieg am Anleihemarkt war heftig – so etwas gab es seit 40 Jahren nicht.Jörg Kukies: Der Renditeanstieg war sehr signifikant, das will ich auch nicht kleinreden. Aber alle Marktteilnehmer, mit denen wir gesprochen haben, haben bestätigt, das wir keine chaotischen Märkte erlebt haben. Es gab höhere Margin Calls und diese haben dazu geführt, dass Positionen abgewickelt wurden. Das bewegte sich alles in dem Rahmen, den wir nach der Finanzkrise geschaffen haben, um in Krisen widerstandsfähiger zu werden.Handelsblatt: Nun soll zwischen den USA und der EU verhandelt werden. Was können wir Trump anbieten?Jörg Kukies: Das langweiligste Fußballergebnis, 0:0. Die USA erheben Nullzölle, die EU erhebt Nullzölle.Handelsblatt: Mit dem Angebot der EU, Industriezölle auf null zu setzen, wird sich Trump kaum abspeisen lassen.Jörg Kukies: Die Amerikaner werden sicher Erleichterungen im Agrarsektor sowie im Digital- und Dienstleistungssektor einfordern. Das ist das, was ich sehr deutlich in Washington gehört habe. Auch nichttarifäre Handelshemmnisse werden sicherlich Thema. Es gibt aus der Automobilindustrie beispielsweise die Idee, das Thema Standardisierung mit in den Ring zu werfen. Das heißt vom Grundsatz her, ein Auto, das die Zulassung der amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörden hat, könnte automatisch im Idealfall dann auch in der EU fahren und umgekehrt.Handelsblatt: All das führt doch am Kern der Diskussion vorbei.Jörg Kukies: Wieso? Wenn man USA und Europa beide gemeinsam wettbewerbsfähiger macht, indem die Größenvorteile der jeweiligen Automobilindustrie durch Standardisierung gefördert werden, ist das auch für beide Seiten gut. Eine klassische Win-Win-Situation. Das ist fast wie im Lehrbuch der Handelsabkommen.Handelsblatt: Genau das ist das Problem. Trump schert sich nicht um ökonomische Effizienz. Er empfindet das Handelsdefizit gegenüber Europa als Schande.Jörg Kukies: Ja, aber er findet das Handelsdefizit gegenüber China ja auch nicht gut. Und wenn man die amerikanische und europäische Wirtschaft gemeinsam wettbewerbsfähiger macht, dann kann es ja auch helfen, das Defizit gegenüber China abzubauen. Wenn ich mit amerikanischen CEOs spreche, sind genau das die Argumente, mit denen sie auf den Präsidenten, seine Berater, seine Minister zugehen. Und ich glaube schon daran, dass der amerikanische Präsident dann sehr genau zuhört.Handelsblatt: Wir haben doch in den vergangenen 10 Tagen gesehen, dass das nicht unbedingt der Fall ist.Jörg Kukies: Nicht unbedingt, aber unbedingt ist ja das entscheidende Adjektiv, denn wir haben eine Kurskorrektur gesehen. Der Versuch, die Lage zu erläutern, war nicht vergebens, hat zumindest die 90-Tages-Chance eröffnet.Europa ist jetzt über die 90 Tage-Pause erleichtert. Gleichzeitig schaukelt sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China immer weiter hoch. Wie gefährlich ist das?Jörg Kukies: Mir ist tatsächlich noch nicht ganz klar, wie das in der Praxis funktionieren soll: extrem hohe Zölle für ein Land, niedrige für alle anderen. Da wird es Ausweichreaktionen geben. Dann werden Dinge in einem anderen Staat zusammengebaut, um den Zoll zu umgehen, aber die Komponenten kommen weiter aus China. Für Europa ist entscheidend: Unsere Antwort sollte sein, nun möglichst viele Freihandelsabkommen mit anderen Ländern abzuschließen. Warum sollten wir das Angebot von null Zöllen nur den USA machen und nicht auch Indien, Indonesien und vielen anderen? Und das Mercosur-Abkommen beschleunigt ratifizieren?Handelsblatt: Die Erwartungshaltung der Amerikaner wird vermutlich sein, dass die EU sich anschließt und Druck auf China macht.Jörg Kukies: Ja, China war tatsächlich in all meinen Gesprächen in Washington ein Thema. Ich konnte aber darauf verweisen, dass wir mit unserer China-Strategie bereits die Abhängigkeit reduziert haben. Wir exportieren mittlerweile mehr nach Polen als nach China. Und die USA hat im vergangenen Jahr China als größter deutscher Handelspartner abgelöst. Der Vorwurf, Deutschland sei zu abhängig von China, ist noch verbreitet, aber überholt.Handelsblatt: Wenn Trump nach den 90 Tagen Pause wieder ernst macht und die Zölle in Kraft setzt: Mit welchen Gegenmaßnahmen sollte die EU reagieren?Jörg Kukies: Die EU hat gerade erst ein Maßnahmenpaket beschlossen, mit dem wir auf die Aluminium- und Stahlzölle reagiert haben. Wir sind geschlossen und handlungsfähig. Sollte es neue Zölle geben, würde die EU mit einem umfangreichen Paket antworten.Handelsblatt: Könnte eine Digitalsteuer dazugehören?Jörg Kukies: Für mich lautet die Kernfrage: Fügen wir uns selbst mehr Schaden zu als demjenigen, auf dessen Zölle wir reagieren? Bei den digitalen Dienstleistungen sind wir noch sehr abhängig von Anbietern aus den USA. Fragen Sie mal bei deutschen Unternehmen nach, ob die Alternativen zu amerikanischen Cloud -Dienstleistern haben. Da ist die Auswahl limitiert. Insofern würden wir hier mit Zöllen oder einer Digitalsteuer vor allem die Preise für die europäischen Unternehmen und Verbraucher erhöhen. Das kommt mir nicht so wahnsinnig durchdacht vor. Man kann die Abhängigkeit bedauern, aber sie ist Realität.Handelsblatt: Sie können das 500 Milliarden Euro Sondervermögen nutzen, um die Digitalisierung voranzubringen.Handelsblatt: Das Finanzministerium wird künftig von der SPD besetzt. Haben Sie Interesse, hier zu bleiben?Jörg Kukies: Die Personalentscheidungen werden bis Mai getroffen und kommuniziert.

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